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Die wundersamen Formeln

Es begab sich zu der Zeit, als die Menschen ihre Geschichten noch von Generation zu Generation mündlich weitertrugen. Da sputete sich mein Ururgroßmütterchen, glaube ich, also möglich wäre das schon, vom Beerensammeln wieder nach Hause zu kommen. Ein Unwetter drohte. Also das war vor langer langer Zeit - mehr oder weniger. Es wurde fürchterlich dunkel, es donnerte und blitzte. Just wurde es nicht weit von ihr entfernt aufeinmal ganz hell und ein erschreckend lautes Padabum ließ sie erstarren. Flammen züngelten an dem einzigen Baum weit und breit. Damals hatten die Ururgroßmütter vor sowas genausoviel Angst wie heute. Sie lief nach Hause - was sonst - und mit zitternder Stimme berichtete sie von diesem Vorfall. Vermutlich war es dann auch mein Ururgroßväterchen, der daraufhin die Stelle aufsuchte von der Ururgroßmütterchen berichtete. Mit einigen Formeln besprach dieser den immer noch Brennenden. Er möge doch die Ururgroßmutter nicht so erschrecken und kein Leid über die Sippe bringen. So ging er nach hause und erklärte allen, er habe den Brennenden besänftigt.
Daraufhin wurde er Chef.
Das brachte einige Vorteile mit sich. Er brauchte nicht mehr alles machen, was er vorher zum Tagwerk beitragen musste. Hier und da mit neuer Formel seinen Nächsten Sicherheit verkünden - das reichte. Er musste nicht einmal von der Wichtigkeit seines Tuns überzeugen. Das ergab sich halt so.
Verschiedene Anlässe verlangten dann immer neue Formeln aber nicht jede wollte so recht helfen. Das muss man sich so verstehen, wie mit dem Shampoo mit neuer Formel. Das geht nämlich so lange gut, wie einem die Haare nicht ausgehen. Wenn das passiert, muss man mächtig doll formulieren und auf die Leute einreden. Also sprach Ururgroßväterchen.
Daraufhin ließen wundersamen Begebenheiten nicht lange auf sich warten.

Und wenn es ´mal irgendwo brannte, gab es ja immer noch die eine oder andere Formel.
Ganz sicher bin ich mir nicht, ob es denn Ururgroßväterchen war, denn Überlieferungen sind manchmal nicht so dicht an der Wahrheit. Jedenfalls wurde er zum Oberchef berufen oder tat das gleich selbst. Er ließ verkünden im Besitz der allmächtigen Wahrheit zu sein und nicht nur das, er selbst sei nun der Brennende. Und wer nicht an ihn glaube, dem wird schlimmes widerfahren. Jaja, das klingt ganz schön hart. Ist es auch! Fegefeuer, Sinflut und sowas.

In meiner Überlieferung konnten Kängeruhs und Pinguine aber ganz beruhigt zu Hause bleiben, als mal wieder so ein richtiges Donnerwetter von oben hereinbrechen sollte, wegen der Strafe und so. Die hätten das bis zum Boot sowieso nicht geschafft, nicht mal bis zur Hälfte - eher noch weniger. Quatsch, die wären da nie hingekommen. Den Kängeruhs wäre beim Schwimmen der Beutel vollgelaufen und sie wären schlichtweg ersoffen. Die Pinguine hätten allerdings ganz locker dahin gekonnt. Keine Ahnung warum das nicht überliefert ist. Waren die zu weit weg und mein Ururgroßväterchen kannte die posierlichen Tierchen eventuell garnicht. Vielleicht war das auch irgendwie anders.
Aber die Leute mussten sich nun richtig vor meinem lieben Ururgroßväterchen fürchten. Na die Einfältigen eher weniger. Aber die Skeptiker, die immer was zu nörgeln hatten oder die, die da zauderten. Die waren nicht auf den rechten Weg zu bringen. Da musste man schon einbißchen drohen.
Und um sicherzustellen, dass man die Guten vom Bösen unterscheide, sollten sich erstere formelgerecht kleiden, damit man sie erkenne. Die Prächtigen unter den Guten wollten allerdings auch zu erkennen sein. Dafür gab es denn eine andere Formel. Und sie sollten einander lieben. Zwar nicht so richtig, eher im Kopf, so vom Gefühl her war das gemeint. Selbstverständlich nicht die, die da wieder ein anderes Ururgroßväterchen hatten.

Denn nicht nur der meinige hatte es geschafft, seine Formeln zu verkünden. Ihm taten andere gleich. Damals schien die Märchenwelt kein Fleckchen auszulassen, nicht einmal den Himmel. Da war so ein richtiger Tummelplatz. Da wurde rumgetobt, wußte man zu berichten. Spätere Nörgelfritzen fanden da allerdings garnichts. Das war alles nur Luft und nicht ´mal das!

Aber zurück zur Geschichte.
Einer mahnte, iss das nicht, ein anderer tu das nicht. Das war schon ganz ok so. Niemand darf nicht alles, nur weil er es könnte. Aber was war mit einem lecker Schnitzel. Da wurde doch diesem Tier, das irgendwann sein Schnitzel abgeben muss, nachgesagt, es sei unrein. Dieses Vieh ist genauso sauber wie ein Pferd. Nur dass sich dieses nicht im Schlamm rumwälzt gegen Bremsen und allerlei anderem Fliegengetier. Wer würde schon daraus den Schluss ziehen, dass ein Pferd zwar sauber aber blöd sei.

Der Formelismus hatte nun endgültig seinen Siegeszug angetreten. Da wurden sogar Formelsammlungen geboten.
Aber die, die da schon immer ein Haar in der Suppe finden wollten, fanden auch welche. Man muss wissen, dass insbesondere in Märchen sich allerlei Dichtung finden läßt. Das ist dann halt so eine Sache, wie das mit dem Schnitzel! Aber die Menschen mußten sich halt zu irgend etwas bekennen, um dazu zugehören. Das wäre sonst peinlich, sogar hochpeinlich geworden. Und das steckt den Leuten noch so tief in den Gliedern, dass sie ohne Not sogar heutzutage noch immer irgendwo dazugehören müssen, sogar in Schützenvereinen. Manche Formeln hatten es so richtig in sich. Und die Formelsager sind noch lange nicht gestorben und leben noch heute.

Da braucht nur auf einer Shampooflasche zu stehen „mit neuer Formel“ und der zuständige Herdenreflex löst den Griff danach aus. Selbst wenn noch alle Haare da sind. Und was sagt uns die 48 Stunden Formel: Das wirkt nicht mehr von Samstag bis Samstag, sondern nur noch bis Montag. Toll!!!

Oktober 2011

Märchen

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